Koki - Hamburger Wunschräume in den Siebzigern

Die späten sechziger Jahre, das waren - wie man weiß - Aufbruchszeiten. Und, wie in den zwanziger Jahren, waren das gute Zeiten für das immer noch neue Medium Film. Im Gefolge des Oberhausener Manifests gegen Opas Kino der fünfziger Jahrer waren die Filmhochschulen in Berlin und München entstanden. Und sogar an der Hamburger Kunsthochschule wurde, wenn auch zögerlich, eine Filmabteilung  eingerichtet. Allenthalben war von visueller Kommunikation in den Studiengängen, den Schulen und Museen die Rede.

Die Filmmacher-Coop  in der Brüderstraße und ihre dem experimentellen  Film gewidmeten Filmschauen strahlten über Hamburg hinaus. Klaus Wyborny und Hellmuth Costard von der Film-AG der Universität, Helmut Herbst und Franz Wintzensen vom der Kunsthochschule, und viele andere trafen sich hier. Aus dem Ruhrgebiet kamen dann  Experimentalfilmer wie Werner Nekes und Dore O. Nekes hatte sogar einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule bekommen. Alle waren auf der Filmschau versammelt, die noch jungen des Jungen Deutschen  Films, die Filmstudent:innen aus München und Berlin,  die Hamburger Experimentalfilmer und das New American Cinema, zu dem besonders enge Kontakte bestanden.

Nach der Filmschau 1973, der sechsten, wuchs der Wunsch nach einer Öffnung. 1971 war in Frankfurt von dem dortigen Kulturdezernenten und früheren Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage Hilmar Hoffmann eine kommunales Kino eingerichtet und mit 800 00ß Mark aus dem Kulturetat subventioniert worden. Zwar gab es auch in Hamburg mit dem von Werner Grassmann gegründeten Abaton ein ehrgeiziges und dem künstlerischen Film verpflichtetes Kino, es war aber von den Bedingungen des Kinomarktes abhängig.

Im Verlauf der Studentenbewegung war die Kritik am Filmmarkt, der Kulturindustrie gängig geworden, die nach Adorno „ eine zweite  künstliche Sprache hervorgebracht hat, mit neuer Syntax und Vokabular“  (ohne Leitbild). Dieses sollte nun dechiffriert werden, was ja schon das Programm der Experimentalfilmer gewesen war,  jetzt aber mit neuem pädagogischen und analytischen Konzept. Deshalb waren  in den geplanten Filmkommunikationszentren, in Frankfurt, auch in Berlin und München, Geräte zur Filmbearbeitung vorgesehen.  So „soll die entsprechende Apparatur in funktional jeweils optimierbaren Nebenräumen zur Verfügung gestellt werden. Videotechnik und Schneidetische, um für eine Analyse formaler Kriterien wesentliche Sequenzen eines Films mühelos wiederzugeben oder bestimmte inhaltliche Probleme konkreter als beim einmaligen flüchtigen und eher oberflächlichen Sehen auf der Leinwand reflektieren zu können.“

In diesem eher didaktischen Konzept Hoffmanns ist noch nicht die Debatte enthalten, die ausgehend von Enzensbergers „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ im Kursbuch 20(1970), und der Wiederaneignung von Brechts Radiotheorie auf die künstlerische Eigentätigkeit der Konsumenten setzte.  Insbesondere das 1972 erschienene Buch „Öffentlichkeit und Erfahrung“ von Negt/Kluge hatte den Aspekt der Eigentätigkeit auch mit Film und Video in die Diskussion  gebracht. Den Massenmedien  „kann  durch einen Produktionsprozess von Erfahrung  begegnet werden, der sich in Gegenprodukten manifestiert.“ (S. 220) Nach diesem Programm waren in vielen Orten Koordinationsstellen und unabhängige Medienzentren entstanden, die  Geräte zur Verfügung stellen und bei der Produktion, z.B. mit Film und Video behilflich sein wollten.

Daran  hatten auch die Vertreter vieler Institutionen wie der Landesbildstellen, der Bibliotheken, den Galerien und Museen, Interesse. Wohl im Herbst 1975 trafen sich dann in der Abspielstelle der Kunsthochschule etwa 20 Personen, um für ein breit aufgestelltes kommunales Kino zu werben. Werner Grassmann vom Abaton, die Filmemacher Wintzensen und Herbst, der ja um die Ecke in der Bachstraße selbst so etwas wie eine Filmwerkstatt betrieb. Aber auch Uwe Schneede vom Kunstverein, der  in Stuttgart schon Schritte für ein kommunales Kino unternommen hatte.

Was ist ein KOMMUNALES Kino

Initiativgruppe für ein Kommunales Kino Hamburg fordert ein Kommunales Kino für Hamburg vom 15.9.1976 (PDF Download)

1976 hat sich dann die Initiative  für ein kommunales Kino gegründet, mit Helmut Herbst und Hellmut Costard  und Walther Seidler, der  schon maßgeblich  an der Organisation der Filmschauen beteiligt war. Hinzu kamen noch Uwe Schneede und der Autor, der sich Hoffmanns Vorhaben verpflichtet fühlte und ein Wort für die unabhängigen hamburger Medienzentren einlegte. In einem Antrag vom September 76 wird gefordert, die vom Senat für die Filmschau bereitgestellten 30 Ts. Mark für eine exemplarische Vorstellung der  Arbeit eines kommunalen Kinos in der Woche „Perspektiven des kommunalen Kinos“ zur Verfügung zu stellen.

Allerdings hatten im Jahr zuvor im Abaton bereits zum zweiten Mal die „Hamburger Kinotage“ stattgefunden, veranstaltet vom Abaton, der Arbeitsgemeinschaft Kino  e V, und dem Filmforum Hamburg e.V. . Die Filmschau-Mittel waren dem Filmforum zugewiesen worden für diese renommierte Veranstaltung und dem ansehnlichen Spielfilmprogramm. Allerdings, so steht es im Programm-Katalog,  unter Ausschluss der „politisch engagierten Filme und Dokumentarfilme“ sowie der „ästhetisch innovierenden Filme“. Diese Entscheidung, ohne die Filmemacher überhaupt zu fragen, wird nun beklagt.

Mitte Dezember fand dann schließlich doch die „Hamburger Filmschau76 statt, die jetzt explizit keine Filmschau mehr sein wollte.  Im Untertitel steht: „Filmarbeit in Hamburg und Perspektiven für ein kommunales Kino.“ „Die hamburger Filmschau 76 soll kein Festival sein. … Sie soll vielmehr ein vielfältiges Spektrum der Filmarbeit in Hamburg dokumentieren und zeigen, wie die Arbeit eines kommunalen Kinos in Hamburg mal aussehen könnte.“  In Zelten auf den Platz vor dem Abaton  wurden dann Programme der hamburger Filmemacher, aber auch Filmgeschichtliches, und praktische Film- und Videokurse durchgeführt.

Die Präsenz der  unabhängigen Medienzentren war im hamburger Kulturleben ein neuer Faktor und bundesweit so beachtet wie ein knappes Jahrzehnt zuvor die Filmemacher-Coop. Ausgehend von Filmstudenten der Kunsthochschule waren seit 1973 mehrere Gruppen entstanden, die sich dem Konzept der Selbsttätigkeit verschrieben hatten, basiskulturelle Bemühungen sozusagen: Film für alle. Es gab  mehrere Fernsehberichte darüber, hatten doch manche Redakteure den heimlichen Traum, Fernsehen könnte von unten, von den „Betroffenen“ gemacht werden. Besonders beim WDR gab es einige Sendereihen, die sich diesem Konzept verschrieben hatten, Vor-Ort beispielsweise. Und selbst im bayrischen Rundfunk gab es einen Sendeplatz „Jetzt red i.“

Im hamburger Medienladen, dem späteren Bildwechsel, wurde nun in Zusammenarbeit mit Walter Seidler der Reader „Materialien für ein kommunales Kino“ erstellt, Er enthält neben einem Einleitungstext den Grundsatzartikel von   Hilmar Hoffmann und Peter W. Janssens „Kino der Alternative“. Darüber hinaus  die Konzepte und Programme vieler  kommunaler Kinos und unabhängiger Medienzentren. In mehreren Auflagen  war er für zwei Mark vertrieben worden. Der Reader sollte Grundlage sein für eine erneute Woche des kommunalen Kinos, für das der renommierte hamburger Grafiker Hans Michel ein Plakat entworfen hatte.

Michel, Sohn der Filmemacherin Ella Bergmann-Michel, hatte in den fünfziger  Jahren für den Atlas-Filmverleih Plakate und den Katalog gestaltet und  war ein unermüdlicherer Förderer der neuen Initiative geworden. Diesmal standen mit dem Klick-Kino im Karolinenviertel sogar eigene Kinoräume zur Verfügung. Das ließ die Hoffnung keimen, dass hier das kommunale Kino entstehen könnte. Ein erster Finanzierungsentwurf war bei der Behörde eingereicht worden, 34 Ts. Mark für Erstinvestitionen, und  189 Ts. Mark für die laufenden Kosten.

Als Aufgabengebiete werden „Präsentation, Archivierung und Produktionswerkstatt“ genannt. Entsprechend war dann das Programm der „Woche des Kommunalen Kinos“  Mitte Dezember 1977zusammengestellt: Hamburgensien waren zu sehen, wie Filme mit Hans Albers  und  von Werner Hochbaum.

Eine Präsentation von Klaus Wyborny „Über eine musikalisch-rhythmische Filmform“, ein Programm zu Oskar Fischinger, Filmpräsentationen der HfbK-StudentenInnen und mehrere Workshops: zum Animationsfilm (von Franz Wintzensen) und zu Video (vom Medienladen). Und natürlich Podiumsdiskussionen wie „Modelle für eine kommunale  Kinoarbeit.“

Nun sollte die Behörde am Zug sein. Der filmafine Erste Bürgermeister Hans Ulrich Klose hatte schon auf der medienpolitischen Tagung der SPD in Dortmund kundgetan, dass er sich für kommunale Filmarbeit einsetzen werde, und auch der FDP- Kultursenator Biallas war sichtlich bemüht, für seine Partei Profil zu gewinnen. Schon hatte er sich eine Summe von 100 Ts. Mark für ein kommunales Wanderkino ohne festen Sitz genehmigen lassen. Aber für  welches  Konzept? Die Spielfilmfraktion? Die Experimentalfilmer, die ihre Abspielstäte verstetigen wolle. Die Workshop-Interessierten und alternativen Medienzentren?  Und vor allem  welchen Status sollte die neue kommunale Einrichtung haben? Eine staatliche Stelle, wie im SPD-geführten Frankfurt, oder ein subventionierter Verein, wie ihn die Liberalen wohl  bevorzugten.

Im September 78 berichtet die Kulturzeitschrift Szene (9/78) in einem Gespräch mit Walther Seidler über die Gründung des kommunalen Kinos. „Anfang kommenden Jahres wird das von der Kino-Initiative gestaltete Programm im Klick-Kino im Karolinenviertel anfangen. Zum ersten Mal konnten die Mitglieder der Initiative Kommunales Kino … auf einer konkreten Ebene arbeiten, nachdem die finanzielle Basis geklärt war.“ Und wie geht es weiter? „ Die schon bewilligten 100 000 Mark sollen ab Januar 79 das angemietetes Klick-Kino mit 220 Plätzen in der Glashüttenstraße in ein arbeitsfähiges und akzeptables kommunales Kino verwandeln. .. Es gibt Pläne, das kommunale Kino (später) auf der Museumsinsel am Hauptbahnhof anzusiedeln.“  Im dort beheimateten Kunstverein hatte die Filmstudentin Claudia Schröder schon ein mögliches Programm präsentiert.

Und dann kam das Jahr 1979, in dem sich die Ereignisse überstürzten. Aber erst einmal, wie  Hans-Michael Bock in seinem Artikel „Vom Anderen zum kommunalen Kino“  beschreibt: „Das Jahr 1978 verlief mit Warten auf Zusagen, Beschlüsse, Wahlen.“  Apropos Wahlen:   Bei der Bürgerschaftswahl 78 waren die mitregierenden Freien Demokraten an der Sperrklausel gescheitert und hatten so der SPD zur absoluten Mehrheit verholfen. Jetzt holte der erste Bürgermeister und Wahlsieger Klose den jungen Dieter Kosslik als persönlichen Referenten nach Hamburg.  Und der neue Kultursenator Tarnowski startete mit Unterstützung von  Klaus Geldmacher, der als Künstler gute Kontakte zur Kunstszene hatte, ein Publikationsprojekt: „Kultur für alle“.

Aus einen Informationsblatt der Kulturbehörde sollte nun ein neues themenbezogenes Heft werden. Das erste Thema: Filmstadt Hamburg? Mit Fragezeichen, Weil es vor allem an einem kommunalen Kino mangele.

Das Heft enthält wieder die so oft gestellten Forderungen. Auch die Initiative stellt sich wieder vor: “Das Ziel des Vereins ist es Verständnis für die Film und anderen audiovisuelle Medien als künstlerische und innovative Medien zu wecken, filmhistorische Kenntnisse zu vermitteln, praktische Medienarbeit zu unterstützen und Aspekte der Filmkultur ins Bewusstsein zu tragen.“ Im Vorwort verkündet der neue Kultursenator Tarnowski mit Euphorie, dass nun tatsächlich  die Mittel für ein  kommunales Kino bewilligt seien, darüber hinaus für das folgende Jahr drei Millionen Mark für Filmproduktionen eingeplant sind und es gelungen sei, das  „Filmfest der  Filmemacher“ von München nach Hamburg zu holen – mit einer opulenten Retrospektive des neuen deutschen Films.

Nach einem Jahrzehnt vielfältiger Bemühungen nun Erfolgsmeldungen im Monatstakt: Kommunales Kino, Filmfest der Filmemacher, Hamburger Filmförderung. Jetzt wollte man auch bei der Leitung des kommunalen Kinos keine kleinen Brötchen mehr backen. Es konnte Heiner Ross vom berliner Arsenal verpflichtet worden. Mit dessen Hilfe wird es gelingen, Hamburg an dortigen Fundus filmkünstlerischer und historischer Arbeit teilnehmen  zu lassen. Offenbar hat der Kultursenator aber doch gespürt, dass doch einiges auf der Strecke geblieben ist. Er schließt: “Ein Schwerpunkt könnte dann z.B. die Arbeit der hamburger Filmemacher sein,  experimentelle und künstlerische Arbeiten, die bundesweit Beachtung gefunden haben.“

Gerd Roscher

FILMARTIKEL 4'

Die Zeitschrift "FILMARTIKEL" wurde von der Gruppe der Hamburger Filmmacher herausgeben.

Redaktion: Joachim Wolf (Text) & Walter Seidler (Bild) --- FILMARTIKEL 4' erschien 1968.

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